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Erde ruft

by Oberer Totpunkt

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1.
Blutmond 03:43
Blutmond ... scheine... Ich erinnere mich an eine wunderbare Zeit in meinem eigenen Universum, eine Phase ohne Sorge, ohne Pein. Blutmond ... scheine... Ein warm träumendes Nichts um mich herum. Und ein leiser, wortloser Gesang, der ein Versprechen in sich barg. Wirklich glücklich sind wir, wenn wir uns unserer selbst nicht bewusst sind. Blutmond ... scheine... Ohne Vorwarnung endete mein Glück. Ich verstand nicht, was geschah. Der Gesang verstummte. Beben erschütterten mich und störten meinen Schlaf. Ich wurde verdrängt, geschubst, brutal gestoßen. Ich spürte Schmerz, eine unerträgliche Enge, die meinen Atem raubte, so eng, dass mein Blut in rasender Panik pulsierte, mein Herz schlug so heftig im Brustkorb, als wollte es herausspringen. Ich fürchtete zu ersticken. Wirklich glücklich sind wir nur, wenn wir uns unserer selbst nicht bewusst sind. Scheine... Ich kämpfte. Mit aller Kraft versuchte ich mich zu retten. Doch die Macht, die sich vorgenommen hatte, mich heimatlos zu machen, war stärker. Sie zerrte an mir, riss mich mit sich, würgte und presste mich. Spie mich aus in eine Kälte, die ich nie zuvor erlebt. In ein Licht, das schmerzhaft und unbarmherzig in meine Augen schnitt. Alles Schöne war dahin, begriff ich. Später sagten sie, es war der Vollmond, der mich im Leben begrüßte. Aber bei all dem Blut, das überall verteilt war, das meinen ganzen Körper bedeckte, begriff ich: Der Tod findet zu Lebzeiten statt. Sie nennen es Geburt und bezeichnen es als Anfang von allem. Aber ich wusste, das war nur der Anfang Aber ich wusste, das war nur der Anfang vom Ende.
2.
Hamburg 05:06
Hamburg, Hamburg, mein Großstadtalptraum, was man hier so erlebt, man glaubt es kaum, Du nennst dich „Tor zur Welt“, sitzt fett auf deinem Thron, aber unter der Oberfläche brodelt es schon. Zu viel, zu viele Leute, zu viel. Party machen, dancen, feiern, flirten, Hamburg ist der Ort, an dem du Spaß haben kannst! Putz dich raus mit dem Push-Up, zieh deine Haut glatt, streck dein Kinn hoch, schwing deinen Arsch! Alles, was du brauchst, ist ein dickes Bündel Geld, denn umsonst ist nur der Tod, ja, so ist das auf der Welt. Manche hat's auch schon beim Nachhauseweg erwischt, drum halt dich von den Gleisen fern und achte gut auf dich! Zu viel, zu viele Leute, zu viel. Gehst du durch die Straßen, siehst du all die Massen von Leuten, die sich selber intensiv hassen, die denken, was sie immer denken, tun, was sie immer tun, können sich nicht lösen aus dem Frust, in dem sie dösen. Die haben sich entfernt von allem, was der Mensch im Kern sich wünscht von seinem Sein, sind verzweifelt und allein. Und manche von denen rächen sich an jenen, die glücklicher scheinen, als erlaubt ist, wie sie meinen. Zu viel, zu viele Leute, zu viel. Hamburg, Hamburg, mein Großstadtalptraum, was man hier so erlebt, man glaubt es kaum, Du nennst dich „Tor zur Welt“, sitzt fett auf deinem Thron, aber unter der Oberfläche brodelt es schon. Bienenwabenmenschen leben Wand an Wand, das Leben hat sie stumm gemacht und ausgebrannt. So viel Nähe hält nur aus, wer sich intern distanziert, die Entfremdung von sich selbst wird damit zementiert. Doch wer sich von allem fernhalten will, wird blind und taub und hat auch kein Profil. In so einer Welt verhungert unbedacht ein Kind in seinem Elternhaus frierend in der Nacht. Und die, die ihre “Erziehung” überleben, werden zu jugendlichen Rächern, zu Schlägern und Verbrechern. Die Hysteriker auf Crack, die uns’re Welt definieren, ham die Lösung schon parat: law and order braucht die Stadt! Hamburg, Hamburg, mein Großstadtalptraum, was man hier so erlebt, man glaubt es kaum, Du nennst dich „Tor zur Welt“, sitzt fett auf deinem Thron, aber unter der Oberfläche brodelt es schon. Auf der Reeperbahn wird die Nacht zum Tag und auch ansonsten kehrt sich um, was sich nicht festlegen mag. Die Sündenmeile ist der Treffpunkt für die, die ihrer Spießerwelt den Rücken kehr'n für einmal “dans la vie”. Wer sich nach dem Augenschmaus nach Handfestem sehnt, wird draußen an der Fleischtheke sattsam bedient: Haxen in Moonboots, Schinken im String, Hühnerbrust gepresst oder Zunge mit Ring. All diese Mädchen hatten mal 'nen Traum, doch erinnern können sie sich an den jetzt kaum. Sie steh'n weiter auf der Straße und lachen dich an und bieten Ware Liebe auf der Reeperbahn. Ich will nichts über and’re wissen, will die Achtung vor ihnen nicht einbüßen müssen, denn die Leute hier, das glaubst du nie, sind so seltsam wie in der Psychiatrie! Da gibt es den Typen gleich nebenan, der nichts von seinem Abfall wegtun kann. Es stapelt sich der Müll in seinem Raum, die Nachbarn riechen's doch sie reagieren kaum. Die sind genau so krank wie der Messie da, sehen nur sich selbst, sozial unerreichbar. Viele fürchten die Jahre, dass das Leben verrinnt, seh’n nicht, dass sie, was sie fürchten, längst geworden sind. Und der Weihnachtsstern im Fenster nebenan wirft jahrelang sein Licht auf einen toten Mann. Vergiss nicht deinen Traum und vergiss nicht, wer du bist! Und glaub mir: Wir alle haben Besseres verdient! ... Vergiss nicht deinen Traum und vergiss nicht, wer du bist! Und glaub mir: Wir alle haben Besseres verdient!
3.
Schlacht 03:49
Chor: Schlacht Wollt ihr den wahren Märtyrer sehen? Das bin ich! Chor: Schlacht Ihr und eure Lügner haben mich ans Kreuz genagelt! Weil ihr versagt habt, weil ihr einfach nur zugesehen habt, habt ihr mich auferstehen lassen und zum Propheten gemacht. Chor: Schlacht Euer "Gut und Böse" Geschwafel ... ihr Waschlappen, ich schlag euch eure Dogmen ins Gesicht! Chor: Schlachttag Carpe diem – denn ihr habt nichts als diesen einen Tag, den ihr Leben nennt. Chor: Schlacht Schlechte Nachrichten: Es gibt kein Paradies, keinen jüngsten Tag, keine Erlösung. Und es gibt keine Vergebung. Weil ihr den getötet habt, der euch hätte vergeben wollen. Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes diese Sache mit der Wiederauferstehung, diese Schutzbehauptung der Verräter? Chor: Schlachttag Nachdem ihr ihn gekreuzigt hattet, habt ihr auch noch seine Gedanken kolonisiert! Nicht ungeschickt, denn es ist viel einfacher, einen Toten zu lieben; der kann nämlich die Interpretationen, mit denen andere seine Aussagen bis zur Unkenntlichkeit verzerren, nicht mehr richtigstellen! Und warum das alles? Weil dieser Wanderprediger und Aufwiegler vor 2.000 Jahren das soziale Gleichgewicht ins Wanken zu bringen drohte. Aber nur beinahe. Dafür haben die Pharisäer gesorgt, euresgleichen. Sie würden es heute wieder tun. Natürlich mit anderen Mitteln. Heute schlachtet man kultivierter, nicht mehr mit Holzkreuz und Nägeln, heute schlachtet man auf dem medialen Marktplatz, sorgt für den sozialen Tod. Was glaubt ihr wohl, würde er euch heute zu sagen haben? Chor: Schlachttag, Schlachttag Liebe Lämmer: Schlachttag! “Ihr Blutsauger! Ich bin nicht euer Messias!” Ihr habt den getötet, den ihr am meisten brauchtet. Und als ihr euren Fehler bemerktet, legtet ihr euch eine verwegene Konstruktion zurecht: Er ist gar nicht tot, er ist auferstanden! Und: Er vergibt uns! Im Nachhinein! Und alle waren sie so bereit, das zu glauben! Um sich reinzuwaschen, um den Fehler zu tilgen. Um der Schlacht zu entgehen. Die erfolgreichste Marketingstrategie der Welt. Und die älteste.
4.
Sie sind da 04:29
Sie sind da. Ganz nah. Wenn du genau hinsiehst, wenn du mit den Augen zwinkerst und ganz genau hinsiehst, dann kannst du sie erkennen. Und wenn du alle Geräusche ausblendest, kein Radio, kein Fernseher, dann – wenn du ganz genau lauschst – dann kannst du sie hören. Sie sind da. Zunächst hält man ihr Sprechen für ein monotones Wispern, ein Hintergrundgeräusch, das einlullt. Aber wenn man ganz genau hinhört, ganz genau, dann versteht man sie. Und wenn man sich dann noch stärker konzentriert, dann erkennt man, dass sie Wohnungen, Straßen, Geschäfte haben – genau wie wir. Nur viel kleiner. Mikroskopisch klein. Sie leben hier bei mir, in meinem Zimmer. Auf dem Fußboden. Seit ich sie entdeckt habe, wage ich kaum noch, mich zu bewegen. Ich befürchte, dass ich sie verletzen, ihre Welt beschädigen oder zerstören könnte. Wer weiß, wie viel davon ich schon zerstört habe, in der Zeit, als ich sie noch nicht bemerkt hatte, als meine Sinne noch nicht so geschärft waren, wie sie es heute sind. Stundenlang kann ich da sitzen und sie beobachten. Wie sie lachen, streiten, wie sie ihr Leben meistern, manchmal auch versagen und aufgeben. All das beobachte ich mit einer gewissen Neugier, aber dennoch auf eine seltsame Art unbeteiligt. Fast ist es so, als wäre ich ihre Schöpferin, die sich längst aus der Verantwortung gestohlen hat. Und die sich – wie ein Voyeur – die Zeit damit vertreibt, zuzusehen, wie die Dinge geschehen. Manchmal fährt mir ein vermessener Gedanke durch den Kopf: Was, wenn Gott – indem er die Welt und alles in ihr schuf – damit seine schlimmsten Ängste und Phantasien materialisiert hat? Was, wenn er – vielleicht auf Anraten seines Psychiaters – alles, was wir kennen, erschuf, um sich selbst davon zu befreien? Was, wenn Gott, als geheilt erklärt, längst von dannen gezogen ist? Tot. Sie sind da! Ganz nah.
5.
Gaia 05:44
Ich sah sie oft... ...die Frau mit violett geädertem Tränengesicht, algengrün lächelnd aus moosigem Mund. Ihre Seele zerfressen von Selbsthass und Angst. Geduckt stand sie da, als fürchte sie Schläge; der unstete Blick auf der Suche, stets hoffend auf eine Münze Glück, die sie wärmte, doch nie genug. Wie sie fror. Ihr Leben war elend, ihr Sterben jämmerlich. Doch eine dunkle Macht hatte Mitleid und führte sie ins Licht: Einmal im Jahr – in einer Nacht, in der die Sonne nicht schläft, – steigt sie herab vom Firmament und tanzt auf einer Eisscholle, auf dem Ozean. Sie tanzt bis die Sonne ermüdet. Oder bis die Scholle birst. Sie tanzt voller Anmut zu der Wellen Gesang. Ihr Haar scheint golden im Licht, ihr Atem kondensiert zu feinstem Kristall. Und ihr Lachen klingt wie ein Gebet. Chor: Gaia Sie flog davon auf einem Lichtstrahl, ihr goldenes Haar gleißend im Wind, Chor: Gaia ihr Atem die Essenz von Rosen. Ihr Lachen hell wie ein Bergquell, Chor: Gaia ihr Lied klar, rein und süß. Chor: Gaia Kein Sehnen ermüdet mehr ihren Geist. Frei. Wieder und wieder tanzt sie zierliche Pirouetten. Wer sie sieht, muss weinen vor Glück. Doch die Tränen verwandeln sich in Diamanten und werfen das gebrochene Licht tausendfach zurück. Sie flog davon auf einem Lichtstrahl, ihr goldenes Haar gleißend im Wind, Chor: Gaia ihr Atem die Essenz von Rosen. Ihr Lachen hell wie ein Bergquell, Chor: Gaia ihr Lied rein und süß. Kein Sehnen ermüdet mehr ihren Geist. Frei. Chor: Gaia Sie tanzt in selbstvergessener Vollkommenheit, während die Eisscholle immer weiter treibt. Chor: Et in Arcadia Ego Sie tanzt für alle, die sich fürchten und die einsam sind. Chor: Et in Arcadia Ego Sie tanzt für die, die nicht mehr glauben und verzweifelt sind. Chor: Et in Arcadia Ego Sie tanzt für dich, wenn du nicht weißt, wie es weitergeht. Und sie tanzt für dich, wenn du eines Tages zum letzten Mal die Augen schließt. Wo immer du bist. Chor: Et in Arcadia Ego Wenn die Scholle dann nach vielen Stunden im Meer versinkt, weil der Tanz sie schmelzen ließ. Chor: Et in Arcadia Ego Wenn die Tänzerin mit ihr untergeht. Wenn sich der Himmel verfinstert und grollt. Dann bleib noch. Geh nicht. Denn was dann passiert, ist ein Zauber von solcher Schönheit, dass – wer ihn gewahrt –, mit einem Lächeln auf den Lippen in die Ewigkeit fährt. Chor: Gaia Ihr Atem die Essenz von Rosen, ihr Lachen rein wie ein Berggquell. Sie reitet auf einem Lichtstrahl, ihr weißer Leib gewandet in ein glitzerndes Kleid, ihre Rosenblütenlippen lächeln. Ihre quellblauen Augen streicheln dich. Chor: Et in Arcadia Ego Ihr Haar wie fluoreszierende Goldfäden, ihr Lachen Gesang, der klingt wie nichts, was du je vernommen. Denn so klingt Glück, das reinste und wahrste. Chor: Et in Arcadia Ego Chor: Gaia Wenn ihre Goldfadenhaare dich blenden, dann senke den Blick. Chor: Gaia Denn wer die Herrlichkeit gewahrt, ist verloren. Chor: Gaia Wisse, es wartet eine dunkle, hungrige Macht und fordert ihren Zoll.
6.
Hexenjagd 04:55
Lilith hieß die erste Frau Adams. Sie war schön. Und leidenschaftlich. Sie war stolz. Und Adam war verrückt nach ihr. Aber sie war keine Dienerin. Unterwerfung lag ihr nicht. Das war der erste Fehler Gottes. Als sie Adam verließ, weil der eine folgsame Frau aus ihr machen wollte, wurde er fast wahnsinnig vor Schmerz. Er flehte Gott an, sie zurückzubringen. Aber Lilith lachte Gott nur aus. Sie hatte längst einen anderen gefunden. Zur Strafe für ihren Ungehorsam ließ Gott jeden Tag hundert ihrer Kinder töten. Daran zerbrach Lilith. Gott schuf eine neue Gefährtin für Adam, die ihn trösten sollte. Eva. Sie war eine gehorsame Frau. Aber ihre Neugier wurde zu ihrem – und Adams – Verhängnis. Das war Gottes zweiter Fehler. Doch die Lesart lautete für alle Zeiten: dieses suspekte Geschlecht musste diszipliniert werden. Damit der Herr auch Herr im eigenen Hause blieb! Pandora – Lilith – Eva – und all die anderen sind wie ein böser Fluch, der nur durch energisches Durchgreifen gebändigt werden kann: Die Frauen sind Schuld am Elend der Menschheit! Und die Gerechtigkeit erfordert, dass sie dafür bezahlen. Gott ließ die Gelegenheit verstreichen, seinen männlichen Ebenbildern zu erläutern, dass er es versäumt hatte, die Frauen so unterwürfig zu schaffen, wie Adam es wünschte – und dass er Adam nicht mit der Klugheit ausgestattet hatte, sich mit dieser enttäuschten Erwartung zu arrangieren. Das war Gottes dritter Fehler. Sicherlich nicht sein letzter. Aber dieses Versäumnis speiste die Rechtfertigung für die Hexenjagd, die alsbald begann. Wenn eine Religion eine andere ablöst, ist das weniger ein metaphysischer als ein sozialer Prozess, in dem Machtstrukturen verschoben werden. Wer Macht sichern möchte, muss Widersacher mundtot machen und sich wehrhafte Gefolgschaft organisieren. Im Gegenzug werden dafür Privilegien erteilt. Denn jeder hat seinen Preis. Hexenjagd ist ein Geschäft. Kopfgeld. Enteignung. Dabei empfanden sie gerechte Empörung. Denn die Frauen hatten schließlich selbst im Verhör zugegeben, dass sie mit Satan in Verbindung standen! Hexenproben sind ein angemessenes Mittel, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, falls man mit der Folter nicht weiter kommt. Wasserprobe, Wiegeprobe, Nadelprobe, Tränenprobe... Je größer die religiös verordnete Triebunterdrückung, desto größer der Hass auf Frauen. Wenn es Gott gäbe, müsste man ihn nicht erfinden. Aber was, wenn Göttin die Welt erschaffen hat? Wenn die Erde nichts ist als ein Staubkorn unter ihrem Stiefel? Oder ein Teil in ihrem Blutkreislauf, ein tückischer Krebsherd, der früher oder später herausgeschnitten werden muss? Was, wenn Göttin nach Rache dürstet? Keine Tat bleibt ungesühnt. Das ist das Gesetz des Gleichgewichts. Die ihr in den Staub tratet, werden aufstehen. Früher oder später... ...denn die Nacht gebiert Gestalten, die das Licht nicht liebt...
7.
Imperator 03:27
Der Schlächter liegt im Fieberwahn, sein Weib rauft sich das Haar, er schreit im Koma, schon entrückt, erinnert sich, was war: Fahle Knochenleiber flüstern ihm ein in seinem Geist, das sind die er zu Tode quälte – dermaleinst: “Durch dich lieg ich im kühlen Grab, drum höre mir gut zu: Ich warte auf dich Tag für Tag – und der Nächste, der bist du!” O Imperator, memento mori, o Imperator morituri te salutant Der Schlächter, einst ein Arger, ein Sadist und ein Despot, nie wachte sein Gewissen auf, stets brachte er den Tod. Doch nun mit schweiß’ger Stirn liegt er bebend auf dem Bett, ein Augenpaar lässt ihn nicht los, spricht zu ihm im Falsett:  “Durch dich lieg ich im kühlen Grab, drum höre mir gut zu: Ich warte auf dich Tag für Tag – und der Nächste, der bist du!” O Imperator, memento mori, o Imperator morituri te salutant Der Schlächter windet sich und ruft: “Verschon’ mich, meiner Seel’! Lass das Vergangene doch ruh’n, ist schon so lange her!” Doch nur ein hohles Grinsen ist die Antwort auf sein Fleh’n. Und aus dem Loch, das einst ein Mund war, weht ein faul’ger Wind. O Imperator, memento mori, o Imperator morituri te salutant “Wer bist du, sag’s mir, Klappergeist, ich kenne dich nicht mehr!” Des Schlächters trübe Augen sind vor Entsetzen weit und leer. Sein Herz, das rast, sein Weib, das greint, er bäumt sich auf, er ringt, und in seinem Todeskampf sieht er sich selbst als Kind. Ein Schrei folgt der Erkenntnis: er weiß, es ist so weit! Sein erstes Opfer ruft, das er meuchelte, vor langer Zeit. Er schließt die Augen, denn er weiß, ein Entrinnen gibt es nicht. Kälte kriecht seinen Körper hinauf. Und seine Witwe löscht das Licht. O Imperator, memento mori, o Imperator morituri te salutant Durch dich lieg ich im kühlen Grab, drum höre mir gut zu: Ich warte auf dich Tag für Tag – und der Nächste, der bist du! Ich warte auf dich Tag für Tag – und der Nächste, der bist du!
8.
Letzter Gang 04:20
Das kann doch gar nicht so weh getan haben. Ich bin deine schwärzeste Phantasie. Das düsterste Trauma, dem du je begegnet bist. Und dein letztes. Dabei meine ich es nur gut mit dir. Denn wenn ich dich bestrafen muss, dann tut mir das mehr weh, als dir, das weißt du doch? Oder weißt du das nicht? Sag jetzt nichts. Sieh mir einfach nur zu. Ich werde jetzt alles vorbereiten. Du möchtest doch auch, dass es vollkommen ist? Ich weiß, was du dir wünschst. Wir kennen uns zwar kaum, aber ich weiß genau, was du denkst. Ich kenne deine geheimsten Wünsche. Ich weiß, wonach du dich sehnst. Ich weiß, dass deine Neugier jetzt größer ist als deine Furcht. Ich werde dich nicht enttäuschen. Was würdest du sagen, wenn wir uns sehr nahe kommen würden, ich meine... wirklich nahe. Näher, als dir jemals ein Mensch gekommen ist. Die meisten wissen gar doch nicht, was Nähe wirklich ist. Du siehst mich an, als würdest du nicht verstehen, wovon ich spreche. Komm mit mir. In die Küche. Nimm Platz. Ich werde uns etwas Gutes zubereiten, trink erst mal etwas. Entspann dich. Du hast dir doch auch schon oft gewünscht, wirkliche Nähe zu erleben. Ganz eins mit einem Menschen zu werden. Ich zeige dir, dass es möglich ist, vertrau mir. Ich weiß, dass deine Neugier jetzt größer ist als deine Furcht. Ruhe sanft.
9.
(Eselsbegräbnis lat.: "sepultura asini") ( Der Kirchenvater Augustinus (354–430) verurteilte als erster in seinem Werk „De civitate Dei“ den Suizid als Übel) Wer sich mit eigener Hand fällt, hat´s schwer - kann denn sterben Sünde sein? Der Platz in geweihter Erde neben „guten Christen“ war Selbstmördern lange verwehrt... Sie lagen an der Friedhofsmauer Der Trauerstätte für totgeborene und ungetaufte Kinder, die kleinen Todsünder bekamen Nachbarn Sepultura Asini (Eselsbegräbnis) Lange verweigerte Bestattung in „geheiligter Erde“ Der Freitod als schwere Sünde moralisch geächtet... Da das Leben wohl doch nicht dir gehört? Chor: Sepultura ... Asini Bei der unehrenhaften Beisetzung wurde die Leiche mit dem Gesicht nach unten gefesselt, um die dämonische Energie in die Erde abzuleiten. Der Kopf wurde an anderer Stelle beigesetzt oder zwischen die Beine gelegt. Das Alte Testament sagt dazu: "Er soll wie ein Esel begraben werden, geschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems." (Jeremias 22.19) Auf kirchliche Zeremonien wurde verzichtet... ...die Herrschaft Gottes gnadenlos verletzt! Chor: Unheilbringer ... "Geköpfter Todsünder!" Wutschäumende Priester und erzürnte Dorfbewohner in Rage. Nur mit Waffengewalt konnten sie von der Friedhofsbeisetzung überzeugt werden. Wer die Leiche des Selbstmörders berührte, wurde heimgesucht und hinabgezogen ins dunkle Totenreich... Chor: Sepultura - Asini Der Ketzer wird aus dem Grab steigen, euch quälen, morden, infizieren! Der Verleumder verführt und verflucht euch mit Unwetter Hagel und Blitzen! Zerreißt und durchbohrt seinen Leib und zerschmettert seine Gliedmaßen! Der teuflische Selbstmörder wird sonst wiederkehren und euch mit schwarzer Magie verführen! Die Unehrenhaften wurden gerädert und mit Gittern eingezäumt, um sie daran zu hindern, dem Grab zu entsteigen und Rache an den Lebenden zu nehmen. Sie wurden mehrfach gedreht, damit sie nicht den Weg zurück finden, man rammte sie mit Eisenpfählen ins Erdreich. Pietät und Respekt werden Selbstmördern bis heute verwehrt. Früher wurden sie… wie Esel verscharrt. Chor: Sepultura Asini "SATAN"
10.
Erde ruft 10:23
Der Augenblick seines Sterbens war genau so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Als Schüler musste er einmal einen Vortrag über das Thema halten. Doch damals schien das mit ihm nicht das Geringste zu tun zu haben. Aber viele Jahre später, als dieser Augenblick für ihn schließlich doch gekommen war, entfaltete es sich genau so, das Sterben: Vor seinem geistigen Auge flog sein ganzes Leben an ihm vorüber, wichtige und weniger wichtige Ereignisse, Menschen, die ihm viel, aber auch solche, die ihm wenig bedeuteten, es war zum Weinen und Lachen zugleich, auch zum Fürchten, zum Wütendsein. Aber er bemerkte, dass er das gar nicht mehr vermochte. Vielmehr hatte er das Gefühl, dass seine Züge entspannt waren, dass er lächelte. In diesem Augenblick konnte ihn nichts mehr erschüttern. Noch nicht einmal die Erkenntnis, dass sich der Unfall, der zu seinem viel zu frühen Tod führte, nicht zufällig ereignete. Sondern dass diese fremde Frau, die den anderen Wagen gelenkt hatte, den Zusammenstoß auf der Landstraße in voller Absicht herbeigeführt hatte. Die suchte den Tod. Er nicht. Er war noch nicht bereit. Er war doch noch mitten im Rennen, hungrig nach Erfolg und nach Leben. Gerade hatte er sich dieses schicke, neue Auto gekauft. Das nun zu seinem Sarg wurde. Was für ein schlechter Zeitpunkt, dachte er, und hätte beinahe laut gelacht, aber das gestattete sein Körper nicht mehr. Als sein Genick barst, spürte er nur noch Frieden. Er konnte dieser Frau nicht zürnen. Nicht jetzt. Nicht, während er die wichtigste Erfahrung seines Lebens machte. Denn er erkannte, dass er nicht nur sein Leben noch einmal vor sich sah, sondern dass er viel weiter zurück ging, bis zu seiner Geburt, bis vor seiner Geburt, bis zu anderen Leben. Namen tauchten auf, Orte, Geburten, Tode. Er wusste, dass er auf das blendende Licht zugehen musste, obwohl es fürchterlich schmerzte. Er begriff, dass er ein Teil der Ewigkeit war, und dass ihm verziehen würde. Von etwas, das größer war als er selbst. Die Frau, die den Unfall mutwillig verursacht hatte, starb nicht. Nicht an diesem Tag. Sie starb viele Jahre später. Als der Kummer, der sie den Tod herbeisehnen ließ, längst Schnee von gestern war. Eine heimtückische Krankheit raffte sie hin. Auf dem Sterbebett flehte sie den Tod an, er möge sie verschonen. Um ihrer Tochter willen, die noch ein Kind war und hilflos. Sie war noch nicht bereit, sie hatte doch noch so viele Pläne. Nicht wie damals. Sie war noch hungrig, nach Liebe, nach Erfolg. Nach Erfahrungen. Sie stellte sich vor, dass sie nie mehr etwas auf die lange Bank schieben würde, wenn sie nur wieder gesund würde, ganz bestimmt nicht. Doch der Tod schüttelte nur den Kopf. Aus seiner Sicht starb sie viel zu spät. Gemessen an ihren Taten. Chor: Erde ruft Er wunderte sich manchmal über die, die ihm hinterherliefen. Als könnten sie es nicht erwarten. Dann ärgerte er sich darüber, dass sie ihm ins Handwerk pfuschten. Diese Depressiven. Diese Weinerlichen, Neunmalklugen. Deren Wankelmut ihn anekelte. Euch vergesse ich schon nicht! Keine Sorge. Chor: Will reich sein, ein Scheich sein, mit vielen Millionen, verehrt sein, begehrt sein. Erde ruft Denkst du auch manchmal, dass der Tag schneller vergehen soll? Wenn das Leben ein ständiges Warten auf den Eintritt eines bestimmten Ereignisses ist, dann wirst du einmal in deiner Bilanz feststellen, dass die Wartezeit die Lebenszeit überwiegt. Und dabei glaubtest du früher immer, du würdest in deinem Leben etwas Besonderes schaffen. Etwas von Bedeutung. Du wusstest nicht genau, was das sein würde, aber du vertrautest darauf, dass es sich schon finden würde. Alles, was du brauchtest, war Zeit. Zeit hattest du massenhaft vor dir, dachtest du. Manchmal fandest du, es war viel zu viel, du warst ungeduldig, aber auch gelangweilt. Dann wünschtest du, die Zeit würde schneller voranschreiten. Dass die Zeit, die immer rasanter verflog, dein Leben war, erkanntest du erst viel später. Chor: Erde ruft... tick tack... Mehr und mehr fehlte dir die Kraft, dich über das hinaus einzusetzen, was dir täglich abverlangt wurde. Du spürtest, dass du ein Recht hattest, dir ein wenig Ruhe zu gönnen. Dass das meistens bedeutete, dass du deine Abende vor dem Fernseher vergeudetest, wolltest du nicht zugeben. Und tatsächlich mangelt es langsam an Zeit. Obwohl du das noch nicht wahrhaben willst. Die Gefahr einer Verknappung von Zeit liegt nicht begründet in zuviel Aktivitäten. Die könnte man reduzieren. Die Gefahr einer Verknappung von Zeit liegt vielmehr darin, dass ein Strom versiegt. Dabei liegt die Tragik nicht in seinem tatsächlichen Ende, sondern in der Phase vor dem tatsächlichen Ende. In der Phase, in der der einstige Strom zum Rinnsal wird. Und deine ungelebten Lebensträume zur Farce verkommen. Chor: ticktack... Erde ruft... Zeit läuft ab, Zeit wird knapp... Will reich sein, ein Scheich sein, mit vielen Millionen, verehrt sein, begehrt sein ... Zeit läuft ab, Zeit wird knapp... Erde ruft... Will reich sein... Zu viele Pläne hast du dir aufdrängen lassen. Zu viele Ziele, die sich im Nachhinein nur als Wege entpuppten. Dann bist du erschöpft. Von all den Dingen, die du erreicht hast, und die du nicht brauchtest und nicht wolltest. Dann sehnst du dich vielleicht auch nach dem Nichts. Der einzige Wunsch, der dir ganz sicher erfüllt wird. Wenn die Zeit reif ist.
11.
Dies Irae 01:14
Ein mittelalterlicher Hymnus vom Jüngsten Gericht, der in der römischen Liturgie als Sequenz der Totenmesse gesungen wurde. Dies irae dies illa, Solvet saeclum in favilla: Teste David cum Sibylla. Quantus tremor est futurus, Quando iudex est venturus, Cuncta stricte discussurus! Tuba mirum spargens sonum Per sepulcra regionum, Coget omnes ante thronum. Mors stupebit et natura, Cum resurget creatura, Iudicanti responsura. Pie Iesu Domine, dona eis requiem. Tag der Rache, Tag der Sünden, Wird das Weltall sich entzünden, wie Sibyll und David künden. Welch ein Graus wird sein und Zagen, Wenn der Richter kommt, mit Fragen Streng zu prüfen alle Klagen! Laut wird die Posaune klingen, Durch der Erde Gräber dringen, Alle hin zum Throne zwingen. Schaudernd sehen Tod und Leben Sich die Kreatur erheben, Rechenschaft dem Herrn zu geben. Milder Jesus, Herrscher Du, Schenk den Toten ewige Ruhe. Amen

about

Der Schlund hinter der Normalität gründet tiefer als es die dunkelste Fantasie wahrhaben möchte und die Texte des Hamburger Duos lassen das Blut gefrieren, wenn sie den schmalen Grad zwischen Idyll und lebendigem Alptraum beschreiben, der sich auf einem pulsierenden Musikbett groovenden Minimalismus breitmacht. Die klingenden Psychogramme zitieren mal EBM, mal Hip Hop um dann zum infernalischen Finale in wagnerianischen Bläsersätzen zu ertrinken. Dem Hörer wird spätestens jetzt klar: Erde ruft... Gut zwei Jahre nach dem aufschreckenden Debutalbum voller weiblicher Abgründigkeit „10 Grad vor Oberer Totpunkt“ werfen die Hamburger Expressionisten wieder neue Fragen am Abgrund des Seins auf: Lebst du deinen Traum – oder träumst du dein Leben? Warum nicht die Realität ein wenig korrigieren? Wo endet das, was wir gewohnt sind, als Normalität zu bezeichnen? Und: sind die Abweichler wirklich so verrückt, wie wir gern glauben möchten, weil – je fremder sie uns sind – die Wahrscheinlichkeit für uns selbst abzudriften, desto geringer scheint? Versuchen wir so nicht auch, das Unkontrollierbare kontrollierbar zu machen? An ihrem persönlichen oberen Totpunkt angelangt sind die Gestalten in den spoken-word stories von ::OT::.

credits

released June 26, 2009

Lyricwriter / Composer: All titles: L: Bettina Bormann, C: Michael Krüger
excl. „Dies Irae“ (L: Thomas v. Celano (†1220), C: mittelalterlicher HymnusBlutmond. Bettina Bormann (Lyrics, Vocals), Michael Krüger (Composing, Bass, Drums, Add. Vocals), Tom Wendt: Gitarre, Mix und Mastering: Tom Wendt, Skating Dog, 2009, Hamburg

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about

OBERER TOTPUNKT Hamburg, Germany

::OT:: OBERER TOTPUNKT („TDC”, „Top dead center“) is the music project of Hamburg-based Singer-/Songwriter Bettina Bormann and Drummer/Composer Michael Krüger. ::OT:: performs live with Guitar, Theremin, Drums and Percussions as Duo or with live musicians. They made numerious remixes of Bands and are reguarly on tour throughout Germany and beyond. ... more

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